„Der Schlüssel dazu, sich eines glücklichen und erfüllten Lebens erfreuen zu können, ist der Bewusstseinszustand. Das ist das Wesentliche.“
Wie ihr sehen könnt, ist seit der Veröffentlichung des ersten Teils über meinen Kurs am Tibetzentrum mehr als ein Jahr vergangen. Das liegt einerseits darin begründet, dass ich nicht so viel Zeit für das Schreiben finden konnte, aber auch darin, dass ich viel über das Gelernte nachdenke und gerne mein eigenes Verständnis dazu entwickeln möchte. Diese philosophischen Ansätze sind sehr interessant und helfen auch, sich selbst besser zu verstehen. Viel, was uns täglich beschäftigt, wird durch diese Sichtweisen erhellt. Aber natürlich bedarf es viel Übung und Achtsamkeit, die Welt auf diese Art zu sehen. Obwohl ich versucht habe, die Inhalte mit meinen eigenen Worten darzustellen, ist das Thema trotzdem sehr philosophisch und theoretisch, aber eben ein Teil der Ausbildung und die Basis für die buddhistische Psychologie.
Als jemand, der neu auf dem Gebiet der buddhistischen Psychologie ist, ist es eine Herausforderung für mich, die Inhalte in meinen eigenen Worten zu beschreiben. Erst, wenn ich meine eigenen Worte schlüssig für die Beschreibung des Gelernten anwenden kann, kann ich sicher sein, die Konzepte und Lehren wirklich verstanden zu haben. Das ist eben ein Prozess, der dauert.
Allgemeines
Im Teil 1 habe ich über Meditation, den Geist, die Erkenntnis und das Bewusstsein sehr allgemein berichtet. In diesem Artikel möchte ich noch näher auf den Geist und die sogenannten Geistesfaktoren eingehen und wie das alles mit unserer Wahrnehmung sowie dem alltäglichen Bewusstsein zusammenhängt.
Mit den Artikeln versuche ich, das Gelernte mit meinem Alltag in Verbindung zu bringen. Die Lehrgangsunterlagen sind teilweise sehr nahe an den Übersetzungen der Original-Texte aus dem tibetischen Buddhismus und die Sprache ist sehr verschieden zu der aus unserem Alltag.
Ich denke, diese Verbindung zum eigenen Leben ist wichtig für das Verständnis. Dabei geht es nicht nur um das reine Verstandsverständnis, sondern auch um das gefühlte Verständnis.
„Die meisten Menschen sind so glücklich, wie sie es sich selbst vorgenommen haben“.
Geistesfaktoren
Ein Geistesfaktor ist auf den ersten Blick ein sehr unverständlicher Begriff, aber die folgenden Erklärungen und Beispiele sollen deutlich machen, was gemeint ist und wo Geistesfaktoren uns täglich begegnen.
Geistesfaktoren werden auch Eigenschaften oder Qualitäten des Geistes genannt. Um eine bessere Vorstellung darüber zu haben, was Geistesfaktoren sind, seien hier beispielhaft unheilsame Faktoren wie Wut, Stolz, Zweifel oder Begierde genannt. Im Teil 3 werde ich dann beschreiben, wie Unheilsames und Störendes (im Geist) aufgelöst und letztendlich Mitgefühl und liebende Güte entfaltet werden kann.
„Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein“.
Das ICH-Bewusstsein und das Speicherbewusstsein
Wie im Teil 1 erwähnt, gibt es verschiedenste Unterteilungen wie der Buddhismus das Bewusstsein sieht. Dies ist teilweise durch die unterschiedlichen Schulen im Buddhismus bedingt. Eine, wie ich finde für das Verständnis der buddhistischen Psychologie wichtige, ist die Unterteilung im Cittamatra (oder Yoacara- Schule). Diese nimmt zu den 5 Sinnesbewusstseinsarten und dem geistigen Bewusstsein noch das sogenannte verblendete Ich-Bewusstsein, sowie das Speicherbewusstsein auf.
Das ICH-Bewusstsein
Auf Basis von Eindrücken und Erfahrungen (Speicherbewusstsein) im körperlichen, aber auch geistigen Bereich, entwickelt der Mensch eine Vorstellung eines „substantiellen“ ICH. Dieses ICH steht im Zentrum unseres Denkens und Handelns.
Das ICH spielt in der buddhistischen Psychologie eine interessante Rolle. Im Buddhismus sind das SELBST und das ICH eine Illusion. Das klingt hier sehr verwirrend und ich möchte darauf auch jetzt nicht im Detail eingehen, aber das ist ein Thema, mit dem ich mich im Laufe des Artikels begonnen habe, zu beschäftigen. Letztendlich war das auch ein Grund dafür, warum ich so lange nichts geschrieben habe. Die Frage, was ist das ICH / SELBST und existiert es aus sich heraus (inhärent), ist eine Frage, bei der einem schon „schwindlig“ werden kann. Wie erwähnt entwickelt sich das ICH erst im Laufe des Lebens. Aber können wir ganz klar definieren, was das ICH ausmacht? Manchmal empfinden wir das ICH als stark, manchmal als schwach und unsicher. Das bedeutet, das ICH ist nichts Festes, das immer gleich ist. Es „entsteht laufend“. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt in der buddhistischen Psychologie. Die Lehre vom abhängigen Entstehen besagt, dass immer Bedingungen existieren, die etwas entstehen lassen, so auch das ICH. Mehr davon in folgenden Artikeln.
„Die Lehren des Buddhismus sind letztlich keine Religion, sondern eine Wissenschaft des Geistes.“
Das Speicherbewusstein
Das Speicherbewusstsein (auch Grundbewusstsein) könnte mit dem Begriff des Unterbewusstseins in der westlichen Psychologie verglichen werden und ist die tiefste der Bewusstseinsschichten. Wie der Name vermuten lässt, werden hier, nennen wir sie Erfahrungen und Erlebnisse, gespeichert. Der Buddhismus spricht hier von Samen bzw. Anlagen. [Körper und Geist in Harmonie; Die Heilkraft buddhistischer Psychologie – Thich Nhat Hanh – Kösel Verlag]
Diese Samen wirken ebenfalls auf unsere Wahrnehmung und Bewusstseinszustände. Das bedeutet, dass der gesamte Prozess des Wahrnehmens auch von diesen „Samen“ beeinflusst ist, die aus der Vergangenheit stammen.
Wir können also nicht sicher sein, dass das, was wir den ganzen Tag wahrnehmen oder denken, nicht nur von den aktuellen äußeren Objekten bestimmt ist.
„Das Unbewusste ist viel moralischer, als das Bewusste wahrhaben will.“
Das Bewusstsein besteht laut den buddhistischen Schulen aus der Wahrnehmung selbst und dem Wahrgenommenen (Objekt). Dazu kommt, dass wir nicht nur mit den Sinnen wahrnehmen, sondern auch immer unser Geist aktiv dabei ist. Wir treffen Urteile, vergleichen, bewerten (sh. Speicherbewusstsein) usw. Daher ist jede Wahrnehmung ein Ergebnis von Objekt und Subjekt.
Dieses Wissen macht es auch leichter zu verstehen, was es bedeutet, wenn es heißt: „Jeder hat seine eigene Wahrheit“. Allein das Speicherbewusstsein macht die Wahrnehmung von jedem von uns verschieden. Wenn dann auch noch die biologischen Unterschiede (z.B. Farbenblindheit, Tinnitus, Frau & Mann, Erwachsener, Kind,…) bei den Sinnesorganen dazu genommen werden, wird das noch viel deutlicher.
Geist und Geistesfaktoren
Im Buddhismus wird eine Erkenntnis als Geist (Hauptgeist: Augen-, Gehör-, Nasen-, Zungen- Körper- und Geistiges Hauptbewusstsein) beschrieben die z.B. durch das einfache Beobachten eines Objektes bestimmt wird. Geistesfaktoren oder auch Geisteszustände (geistige Begleiter) entstehen immer zusammen mit dem Bewusstsein, vergehen mit diesem und haben dieselbe Sinnesgrundlage.
Einige der Geistesfaktoren haben Funktionen, die das Hauptbewusstsein dabei unterstützen, ein Objekt kognitiv zu erfassen. Andere geben dem Erfassen eines Objekts eine emotionale Färbung.
Diverse Schulen (Gelehrte) treffen unterschiedliche Unterteilungen dieser Geistesfaktoren. Ich will hier beispielhaft einige herausgreifen. Dabei wird auch klar, was mit Geistesfaktoren in der buddhistischen Psychologie gemeint ist.
Es gibt eine Unterteilung dieser Faktoren, weil bei über 50 dieser Faktoren eine gewisse Systematik hilfreich ist. Es gibt allgegenwärtige Geistesfaktoren, wie z.B. Empfindung oder Unterscheidung, Objekt-feststellende Faktoren, wie z.B. Anstreben, Konzentration, heilsame Faktoren wie Vertrauen, Rücksichtnahme oder Achtsamkeit. Die nicht heilsamen Faktoren sind die 6 Wurzelleidenschaften, wie z.B. Begierde, Wut oder Unwissenheit, aber auch sogenannte Nebenleidenschaften wie Starrsinn, Neid oder Achtlosigkeit.
Die fünf allgegenwärtigen Geistesfaktoren
Empfindung, geht einher mit dem Erleben und kann negativ (Leiden), neutral (indifferent) oder positiv (Glück) sein. Über die Berührung (wobei nicht unbedingt eine tatsächliche Berührung gemeint ist, sondern viel mehr ein in Kontakt treten) wird die Empfindung ins Bewusstsein aufgenommen. Unterscheidung erfasst das Objekt in seinen einzelnen Merkmalen und der Wille bewegt uns zur Beschäftigung mit dem Objekt. Mit der Aufmerksamkeit wird der Geist beim Beobachtungsobjekt gehalten.
Objekt-feststellende Geistesfaktoren
Die Objekt-feststellenden Geistesfaktoren sind eng mit dem Objekt verbunden. So bildet das Anstreben (Motivation) die Basis für den Wunsch, in Besitz des gewünschten Objekts / Phänomens zu kommen. Das ist auch die Basis für die Tatkraft. Die sogenannte Vergegenwärtigung dient dazu, dass der Geist den Gegenstand nicht mehr vergisst und wirkt der Ablenkung entgegen. Mit der Konzentration, der Punktförmigkeit (Fokussierung) des Geistes in Bezug auf das Objekt, bilden wir die Grundlage für Wissen, weil sie die Grundlage der Einsicht darstellt.
„Wo das Bewusstsein schwindet, dass jeder Mensch uns als Mensch etwas angeht, kommen Kultur und Ethik ins Wanken.“
Heilsame Geistesfaktoren
Heilsame Geistesfaktoren werden ebenfalls unterteilt. Sie sind dies zum Beispiel Vertrauen, Rücksichtnahme oder Gleichmut. Bei diesen 3 Beispielen ist auch erkennbar, wie diese Geistesfaktoren eine Wahrnehmung und damit das Bewusstsein positiv prägen können, während die sogenannten Wurzelleidenschaften genau das Gegenteil bewirken.
Die Wurzelleidenschaften
Eine Leidenschaft ist ein Phänomen, durch das der Geist in einen unausgeglichenen Zustand gerät. Es sind dies z.B. Begierde, Wut, Unwissenheit oder Stolz.
„Bewusstsein gibt es seiner Natur nach nur in der Einzahl. Ich möchte sagen: die Gesamtzahl aller »Bewusstheiten« ist immer bloß »eins«.“
Wie spielt das nun alles zusammen?
In der folgenden Grafik habe ich versucht das Zusammenspiel sehr einfach zu skizzieren.
Auf der einen Seite haben wir den Menschen und auf der anderen Seite die Außenwelt mit Objekt und oder Subjekt. Der Mensch tritt nun über die Sinne und seinem Geist (Geistbewusstsein) in Kontakt mit dieser Außenwelt.
Der Wille oder die Absicht ist die Motivation, das Objekt zu bekommen oder etwas mit ihm zu tun. Dabei entsteht ein Kontakt / Berührung [im Kompendium des Höheren Wissens heißt es: …nimmt das Objekt als etwas Angenehmes, Unangenehmes oder Neutrales ins Bewusstsein auf] und eine Empfindung entsteht (positive – neutral – negativ). Mit der Unterscheidung wird das Objekt / Subjekt in ihren unterschiedlichen Merkmalen erfasst. Mittels der Aufmerksamkeit hält der Geist am Beobachtungsobjekt fest. Diese Geistesfaktoren werden allgegenwärtig genannt, weil sie unabdingbar für das Erfahren des Objektes / Subjektes sind.
Weitere Geistesfaktoren sind die 5 sogenannten Objekt- feststellenden Faktoren, an Hand derer das Szenario noch weiter analysiert und betrachtet werden kann. Wie oben beschrieben, ist zum Beispiel die Konzentration wichtig, um Wissen und dann Einsicht zu gewinnen.
Wie wir alle aus unserer eigenen Erfahrung kennen, gibt es die oben erwähnten heilsamen Faktoren wie z.B. Vertrauen, Rücksichtnahme oder Achtsamkeit, die bei der Wahrnehmung und Interaktion positiv und unterstützend wirken.
Wohingegen die in der tibetischen Lehre Wurzelleidenschaften genannten Geistesfaktoren, wie Begierde, Wut, Zweifel oder Unwissenheit negative Auswirkungen haben können.
Zu all dem gibt es dann noch das Speicherbewusstsein, dass durch die unterschiedlichsten Gegebenheiten und Umständen einen direkten Einfluss auf das Erleben nehmen.
Aus dem Speicherbewusstsein wirken Werte, Konzepte und Glaubenssätze auf das Geschehen ein. Ich habe auch das innere Kind angeführt, das momentan sehr populär ist, weil es zeigt, dass vieles das uns ausmacht, schon in unserer frühsten Kindheit geformt wird. Begriffe habe ich auch dem Speicherbewusstsein zugeordnet, weil wir von frühester Kindheit mit Begriffen umgehen lernen. Alles was wir wahrnehmen, wird quasi durch einen Begriff „etikettiert“. Diese Begriffe sind aber natürlich auch je nach Sozialisation unterschiedlich und auf einer gewissen Weise Abstraktionen der Wirklichkeit. Wenn wir z.B. über den Begriffe „Rose“ sprechen, wird jeder eine andere Vorstellung darüber haben. Interessant ist auch, darüber nachzudenken, ob eine Rose, die ich sehe, tatsächlich so existiert, wie ich sie wahrnehme, oder ob die Wahrnehmung durch die diversen beschriebenen Faktoren beeinflusst ist.
Ich habe durch diese Sichtweise, von dem was in unserem Geist vorgeht, erkannt und gefühlt, wie komplex Wahrnehmung und Bewusstsein sind. Es ist wichtig, denke ich, sich das bewusst zu machen, damit man sich und seine Mitmenschen besser verstehen lernt.
In einer Diskussion mit meiner Tochter zum Beispiel, habe ich im Nachgang zu dieser leider erkennen müssen, dass ich selbst in meinem Alter noch immer in ein Muster verfallen bin, das ich aus meiner Kindheit kenne und aus der Zeit stammt, als ich mit meiner Schwester im Kinderzimmer gestritten habe.
Das zeigt leider, dass auch wenn ich über die Vorgänge in mir Kenntnis habe, nicht alles sofort einfacher wird. Aber Achtsamkeit dafür zu entwickeln, was in einem vorgeht, und dadurch besser zu verstehen, hilft, sich weiterzuentwickeln. Es ist ein langer Prozess, aber vergesst nicht, das ihr bereits viele Jahre oder Jahrzehnte alten Mustern folgt. Es bedarf daher viel an Geduld und stetigem Üben.
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